26.05.2020

Resozialisierung nicht gefährden – Inhaftierung und Schulden während Corona


Die Bundearbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe e.V. (BAG-S) und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e.V. (BAG-SB) äußern sich besorgt darüber, dass die vorübergehende Schließung der Arbeitsbetrieb in den Justizvollzugsanstalten erhebliche Negativauswirkungen auf die Wiedereingliederungsmöglichkeiten der Inhaftierten hat.

Zum Schutz der Gefangenen und des Personals vor Ansteckung mit dem Virus SARS-CoV-2, wurden in den Justizvollzugsanstalten weitreichende Maßnahmen ergriffen. Vor dem Ausbruch der Pandemie sind viele Gefangene einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen. Im Rahmen der Infektionsschutzmaßnahmen wurden auch die Arbeitsmöglichkeiten der Inhaftierten beschränkt. Das Einkommen der Inhaftierten fällt darum aktuell komplett weg.

Obwohl die Höhe des erzielbaren Einkommens insbesondere im geschlossenen Vollzug gering ist, ist dieses Geld für die Betroffenen ausgesprochen wichtig. Viele Inhaftierte tilgen mit dem Arbeitseinkommen in Haft Schulden, die unmittelbar im Zusammenhang der Inhaftierung entstanden sind. Das können Unterhalts- oder Schadenersatzzahlungen sein, Schadenswiedergutmachungen oder die Begleichung alter Forderungen, um nach der Entlassung bessere Chancen auf dem Wohnungsmarkt zu haben. Eine aktuelle Studie der BAG-S weist Schulden/Überschuldung als eines von vier zentralen Problemen straffällig gewordener Menschen aus. So gering diese Ratenzahlungen auch sein mögen, so gewichtig wirken sie sich auf das Leben der Inhaftierten aus.

Diese Anstrengung, die finanziellen Verhältnisse aus eigener Kraft zu stabilisieren, ist ein wichtiger Baustein für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Mit der Schließung der Arbeitsbetriebe in den Gefängnissen verschlechtern sich also auch die Resozialisierungschancen der Inhaftierten erheblich.

„Draußen“ besteht zumindest die theoretische Chance wegbrechende Einkommen von Arbeitnehmer_innen durch Kurzarbeit oder alternative (Zu-)Verdienstmöglichkeiten abzufedern. Inhaftierten Menschen ist das jedoch unmöglich, denn Kurzarbeitergeld für Gefangene im Gefängnis gibt es derzeit nicht und die erzielbaren Einkommen entfallen für Inhaftierte grundsätzlich ersatzlos. Das hat weitreichende Folgen und steht im Widerspruch zu den zentralen Prinzipien für die Gestaltung des Vollzuges (§ 3 StVollzG): Wird in Freiheit Kurzarbeitergeld gezahlt, Inhaftierten jedoch nicht, widerspricht dies dem Angleichungsgrundsatz. Können Gefangene ihre Schulden nicht abbezahlen, weil die Betriebe in den Justizvollzugsanstalten aufgrund der Pandemie vorübergehend geschlossen sind, verletzt dies den Gegensteuerungsgrundsatz. Insbesondere der Wiedereingliederungsgrundsatz ist betroffen. Denn mit Schulden, die sonst durch erworbenes Einkommen abbezahlt würden, wird die reelle Möglichkeit, ein straffreies Leben nach der Inhaftierung aufzubauen, deutlich erschwert.

Ohne entsprechende Ersatzleistungen des Staats und ein Entgegenkommen der Gläubiger wird das Ziel der Entschuldung unerreichbar und die Chance auf Resozialisierung schwindet. Die aktuelle Situation beeinträchtigt auch erheblich die wenigen Möglichkeiten der Inhaftierten, sich ein selbstbestimmteres Leben in Haft und vor allem für danach aufzubauen.

Keinesfalls sollte in Zeiten der Krise der wirtschaftlich Stärkere zu Lasten des wirtschaftlich Schwächeren agieren. Stattdessen müssen alle ihren Anteil zur Bewältigung der aktuellen Krise beitragen.

Die beiden Verbände schlagen deshalb konkreten Maßnahmen vor, um die Negativfolgen für die Inhaftierten wenigstens in einem erträglichen Maße abzufedern:

1. Lohnersatzleistungen auch in Haft

Gemeinsam setzen sich die Verbände dafür ein, dass bei Arbeitsausfall aufgrund von Maßnahmen des Infektionsschutzes für bisher arbeitende Inhaftierte ein Verdienstausfall durch Lohnfortzahlung oder ein Kurzarbeitergeld zu kompensieren ist. Es ist nur angemessen, Gefangenen für den Zeitraum des erzwungenen Arbeitsausfalls ebenfalls eine Lohnersatzzahlung zu zahlen – in Analogie zum Kurzarbeitergeld für Beschäftigte im System der Arbeitslosenversicherung.

2. Entgegenkommen der Gläubigerseite

BAG-S und BAG-SB rufen gemeinsam alle öffentlichen und privaten Gläubiger auf

  • großzügig Stundungen ohne Berechnung zusätzlicher Kosten und Zinsen zu gewähren
  • auf die Kündigungen laufender Ratenzahlungsvereinbarungen und Pfändungen von Eigengeld zu verzichten
  • den Schuldenabtrag zu erleichtern, indem auf Kosten verzichtet und von weiteren Vereinbarungen mit weiteren Kosten abgesehen wird
  • eingehende Ratenzahlungen immer zunächst auf die Hauptforderungen zu verrechnen und dann erst auf Kosten und Zinsen.

Verschuldeten straffällig gewordenen Menschen solle so eine reelle Chance gegeben werden, nach der Pandemie ihre Schuldensituation eigenständig zu bewältigen. Alle Beteiligten sollen ihre Verantwortung wahrnehmen, damit Menschen, die es - unabhängig von den Gründen - besonders schwer haben, in Zeiten einer Pandemie ihren Weg zurück in die Gesellschaft weiterverfolgen können.

Die vollständige Stellungnahme als PDF